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schnell den Siegeszug antrat.

Aus einem Festzelt ist es seit

Dekaden nicht mehr wegzu-

denken. Gegenwärtig wird

es in jedem Zelt allabendlich

rund ein Dutzend Mal ange-

stimmt. Nur eben nicht mehr

in seiner ursprünglichen tra-

ditionellen Form. Neue Ele-

mente sind hinzugekommen,

wenn man so will, hat sich das

Lied modernisiert. Anstelle ei-

nes einzigen Wechselrufs am

Liedende ist ein ausgefeiltes

Vor-und-Zurück von Sänger

und Puplikum getreten, das

sich von Band zu Band un-

terscheidet. „Bitte“ – „Danke“,

„Prego“ – „Grazie“, „Sauft, ihr

Säcke“ – „Sauf, du Sack“ oder

„Zicke-Zacke“ – „Hoi, hoi, hoi“

geht es hin und her. Wie

bei der Trachtenmode lässt

sich erkennen: In der Ausge-

staltung flexibler, im Kern

aber wird dasselbe, gemein-

schaftsstiftende Muster ge-

nutzt. Ein Muster, bei dem im

Festzelt seit jeher Tausende

in einem Moment mitjohlen,

mitmachen und so zu einer

Einheit werden.

Vergleichbares gilt auch für

das Tanzen im Zelt, ein weite-

rer Grundbestandteil. Traditi-

onelle Formen verändern sich,

erhalten ein neues Gesicht und

bewahren dennoch Teile der

alten – festiven – Inhalte. Aus

dem Schunkeln wurde so

das Reihentanzen oder

auf Neudeutsch

„Line Dancing“.

Anstelle der

langen, ver-

bundenen

Ketten von

schwingenden Menschen (bei

denen man im Sitzen mitge-

zerrt wurde, ob man wollte

oder nicht) bewegen sich die

Zeltgäste nun unverbunden,

aber dennoch synchron,

quasi im Gleichschritt

zu „Fliegerlied“, „YMCA“

oder „Komm, hol das Lasso

raus“. Die Feiernden machen

im Stehen je nach Lied bis zu

20 unterschiedliche Gesten.

Das ist zwar vielfältiger und

individueller als ein Schun-

kelwalzer, aber immer noch

eine uniforme Angelegenheit

in der Gruppe, vergleichbar

den Massenfreiübungen, wie

sie Turner in den 1920er- Jah-

ren aufführten. Und der Line

Dance „Rucki-Zucki“ ließ schon

1974 die Party-Herzen in den

Bierzelten höherschlagen ...

Schaut man also genauer hin –

das bestätigt selbst die wissen-

schaftliche, volkskundliche

Untersuchung zum Vergnügen

in den Festzelten –, wird trotz

aller Party immer noch ein

Fest auf dem Wasen gefeiert.

Viel Bodenständiges und Tra-

ditionelles hat sich erhalten,

weil es sich verändert hat. Weil

es zeitgemäß geblieben ist und

eben nicht erstarrte und altba-

cken wurde. Das Cannstatter

Volksfest ist nach bald 200 Jah-

ren Fest, Feier und Party jung

geblieben.

Claudia Bosch

Schunkeln, Polonaise oder Line Dance:

Im Festzelt sind viele Ausprägungen des

Feierns zu finden.

>>

Wie auch immer, gefeiert wird das

Volksfest seit fast 200 Jahren!

>>

24

Cannstatter Volksfestzeitung 2015